Einrichtungsbezogene Impfpflicht


Rechtsanwalt aus Leidenschaft

RA Jens Müller ·  Dipl.-Forstw. univ. · Fachanwalt für Arbeitsrecht


Hinweis:

Die einrichtungsbezogene Impfflicht ist zum 31.12.2022 ausgelaufen.



"Impfpflicht" für medizinisches Personal und Pflegeberufe

Update 12.09.2022

Neues IfSG - Auswirkungen auf einrichtungsbezogene Impfpflicht

(Scroll down - unter die Bilder)




Update 12.09.2022


Änderungen bei der sog. einrichtungsbezogenen Impfpflicht ab dem 01.10.2022.


siehe hierzu auch den Artikel "Das neue Infektionsschutzgesetz"


Am 08.09.2022 wurde vom Deutschen Bundestag das neue Infektionsschutzgesetz beschlossen. Dieses enthält in § 22 a (Vorschriften über den Impf- und Genesenennachweis) eine markante Änderung, die sich indirekt auch auf die einrichtungsbezogene Impfpflicht (§ 20 a IfSG) auswirkt. Für den des Status „vollständig geimpft“ sind im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage nunmehr drei Impfungen (alternativ zwei Impfungen und eine Genesung) notwendig. Die dritte Impfung ("Booster") muss dabei mindestens drei Monate nach der zweiten Impfung bzw. Genesung erfolgt sein. Eine zweite Genesung wird nicht auf den Impfstatus angerechnet.


Für alle Arbeitgeber von Angestellten, die der einrichtungsbezogenen Impfpflicht unterliegen, heißt das konkret:

Ohne „Booster“ kein vollständiger Impfschutz mehr! Der Arbeitgeber müsste den betreffenden Mitarbeiter also an das Gesundheitsamt melden. Das Gesundheitsamt müsste dann wiederum den betroffenen Arbeitnehmer anschreiben, diesen zum "Boostern" auffordern und ggfs. Maßnahmen - bis hin zu einem Beschäftigungsverbot - anordnen.  Beim Vollzug dieses nach § 20 a IfSG vorgesehenen Prozedere hatten die zuständigen Gesundheitsministerien der Länder aber schon in der Vergangenheit kalte Füße bekommen (vgl. Update 16.07.2022). 


Das bayerische Gesundheitsministerium hat zudem zwei Tage nach dem Beschluss des neuen IfSG durch den Bundestag angekündigt, einen „Sonderweg“ zu gehen, der von der „realitätsfernen Linie der Bundesregierung abweicht und für Entlastungen sorgt.“  Kurzum, Bayern verzichtet auf den Nachweis bzw. die Erhebung der verschärften Impfanforderungen. Damit dürfte sich für bereits seit dem Stichtag 15.03.2022 Beschäftigte nichts ändern. Auswirkungen ergeben sich jedoch bei Neueinstellungen, da die Einstellung ohne Booster-Impfung ausgeschlossen ist.




Update 02.09.2022


In einem Interview mit der WELT (Ausgabe 01.09.2022 - Bezahlschranke) übt der Vorsitzende des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter, Robert Seegmüller, deutliche Kritik an dem neuen Infektionsschutzgesetz. Zugleich moniert er ein Defizit von Rechtsstaatlichkeit in der bisherigen Praxis sog. Eilentscheidungen in Zusammenhang mit Corona-Maßnahmen.


Zwar entspreche der aktuelle Entwurf des neuen Infektionsschutzgesetzes „überwiegend“ den verfassungsrechtlichen Anforderungen. An mehreren Stellen weise das Gesetz jedoch deutliche Schwächen auf, etwa bei der Frage, welche Gefahr der Gesetzgeber mit der bundesweiten FFP2-Maskenpflicht in Innenräumen und Nahverkehr eigentlich abwehren will. Eine solche Maßnahme stelle für 82 Millionen Bürger einen erheblichen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar, der mit den wissenschaftlichen Prognosen hinsichtlich der anstehenden Belastungen des Gesundheitssystems nicht zu rechtfertigen sei. „Aus der Wissenschaft habe ich nicht vernehmen können, dass tatsächlich mit einer Überlastung gerechnet wird“, so Seegmüller gegenüber der WELT. Eine reine Belastung, die keine Überlastung ist, stelle nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit keinen Grund für einen derart weitreichenden Eingriff dar.


Auch der Verlängerung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht steht Seegmüller, selbst Richter am Bundesverwaltungsgericht, kritisch gegenüber. Mit der Billigung durch das BVerfG im April diesen Jahres (1 BvR 2649/21) sei das Thema nur vordergründig erledigt worden. Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz ändere sich aber die Rechtslage, in welche die Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen eingebettet ist. Vor dem Hintergrund des darin verankerten verschärften Schutzkonzepts mit erweiterten Test- und Maskenpflichten stelle sich die Frage, inwieweit die Impfung noch einen zusätzlichen Nutzen bringe, denn „inzwischen wissen wir, dass sie nur sehr kurze Zeit davor schützt, sich anzustecken oder andere zu infizieren.“ Darüber hinaus leide bereits die zum Jahresende auslaufende Regelung unter einem „erheblichen Vollzugsdefizit“, seien doch „kaum ungeimpfte Mitarbeiter tatsächlich vom Dienst suspendiert worden“.


Am Ende des WELT-Interviews rügt der oberste Verwaltungsrichter, der eben erst als Sachverständiger vom Bundestag zum neuen Infektionsschutzgesetz gehört wurde, die bisherige Praxis der Gerichte in Sachen „Coronamaßnahmen“

Schuld daran seien aber nicht die Richter/innen, welche die Verfahren vielmehr „mit hohem Einsatz unter zum Teil widrigen Bedingungen mit großer Professionalität entschieden haben“. Ein eklatantes Rechtsstaatsdefizit rühre jedoch daher, dass nahezu alle Verfahren in sog. Eilverfahren entschieden wurden. Solche Verfahren würden ohne eingehende inhaltliche Prüfung erfolgen. Der Prüfungsmaßstab für den Richter oder die Richterin sei – sehr verkürzt formuliert: Leben gegen Freiheit. Zwar stellten die Entscheidungen in Eilsachen nur vorläufige Urteile dar, die endgültige Entscheidung bleibe dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Nur: Wegen der Kurzlebigkeit der geltenden Verordnungen entfalle regelmäßig ein Rechtsschutzbedürfnis für ein solches Hauptsacheverfahren. Und genau hierin sieht Seegmüller das zentrale Problem:

„Es wäre besser, wenn wir mehr Entscheidungen in der Hauptsache hätten und Verfahren auch häufiger bis zum Bundesverwaltungsgericht geführt würden. Dann hätten wir bundeseinheitliche Maßstäbe, an denen sich die Infektionsschutzbehörden orientieren könnten.“


Seegmüllers salomonisches Schlusswort gegenüber der WELT: Man könne die Corona-Ermächtigungen des noch bis September geltenden Infektionsschutzgesetzes auch einfach auslaufen lassen – ganz ohne Nachfolgeregelung!


Zusammenfassung Interview: JM



Update 16.07.2022


Die Impfpflicht ist tot – es lebe die Impfpflicht


Die Regelungen zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht sind verpufft wie das Hornberger Schießen. Mit großem politischen Getöse in die Welt gesetzt - am Ende blieb ein bürokratisches Monster, mit dem sich keiner so recht auseinandersetzen wollte. Und selbst Politiker, die bei der Schaffung des Monsters aktiv mitgewirkt haben, wie etwa
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek, fordern zwischenzeitlich das vorzeitige Ende der einrichtungsbezogenen Impfpflicht.


Bezeichnend ist, dass alle medizinischen Einrichtungen von Arztpraxis bis Universitätskrankenhaus ihre aus dem Gesetz resultierenden Pflichten erfüllt haben. Abertausende Informationsschreiben an die Belegschaft, Meldungen von Nicht-Geimpften an die Gesundheitsämter, Bürokratie vom Feinsten. Um ihre Pflicht erfolgreich herumgedrückt haben sich dagegen die staatlichen Vollzugsorgane von den Gesundheitsämtern bis hin zum Gesundheitsministerium. Von Anfang an war der Wille zum Vollzug verhalten. Bundesweit sind (Stand heute) in Hamburg und Bremen gerade einmal zwei Betretungsverbote für ungeimpfte Mitarbeiter ausgesprochen worden, in Berlin eines. In Bayern und in den anderen Bundesländern sind definitiv keine solchen Verbote ausgesprochen worden. In Baden-Württemberg versucht man es aktuell über die Bußgeldschiene, hier laufen derzeit 450 Bußgeldverfahren gegen Impfverweigerer, die aber beste Chancen haben, den Bußgeldbescheid mittels Einspruchs erfolgreich abzuwehren. So wurde etwa vom Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht (Urteil vom 13. Juni 2022, Az. 1 B 28/22) die Vorlagepflicht eines Impfnachweises als „offensichtlich rechtswidrig“ bezeichnet.


Nicht anders geht es bei den Arbeitsgerichten zu: Was ich persönlich in meiner ständigen Praxis als Fachanwalt für Arbeitsrecht mitbekommen habe, ist eine allgemeine Abneigung der Richterschaft gegen eine Politik, die ihre Probleme auf das Verhältnis Arbeitgeber-Arbeitnehmer und damit im Streitfalle auf die Arbeitsgerichte ablastet. Entsprechend zurückhaltend ist man bei der Beurteilung der Frage, ob ein Arbeitnehmer aufgrund seines negativen Impfstatus freigestellt oder gar gekündigt werden darf. Wie bei Arbeitsgerichten üblich, hat man sich in den bisherigen Fällen meist verglichen, wobei diese Vergleiche von den Arbeitgebern stets teuer erkauft werden mussten. Im Ergebnis hat der Arbeitgeber nicht nur Geld, sondern vor allem einen qualifizierten Mitarbeiter verloren – Danke Politik!


Um so erstaunlicher, dass nicht wenige deutsche Politiker immer noch von einer Wiederbelebung der allgemeinen Impfpflicht träumen. Als hätte man mit dem faktischen Scheitern der einrichtungsbezogenen Impfpflicht nicht eben erst ein Lehrstück gescheiterter Gesetzesinitiativen absolviert. Dabei dürften die gesetzlichen und bürokratischen Hürden einer allgemeinen oder altersbezogenen Impfpflicht kaum geringer sein als bei der Impfpflicht für medizinisches Personal. Mein guter Rat an die Politik daher: Finger weg von einer Neuauflage einer Impfpflicht!


Wer im Sommer durch andere Länder tourt, wird auch schnell feststellen, dass die Deutschen mit ihrer Sorge um den anstehenden Herbst ziemlich alleine dastehen. Und alle machen mit bei der Sorgenpandemie, von der Politik bis zu den Medien. Jeden Tag in unserer „Heimatzeitung“ (Merkur) der „Corona-Ticker“ mit aktuellen Zahlen zur Inzidenz und Belegung der Krankenhäuser im Landkreis (Aktueller Stand: 2 Patienten - Wow! ). Gesundheitsminister Lauterbach fordert mit Vehemenz die vierte Impfung für unter 60-Jährige. Noch widerspricht die Stiko, aber natürlich wird es auch bei diesem Thema nicht lange dauern, bis sich deren Chef Prof. Mertens der Forderung des Gesundheitsministers beugt. Haben wir wirklich keine anderen Sorgen?


Jeder bekommt das, was er verdient. Wer heute das Ergebnis der Corona-Politik resümiert,  dabei die quer durch Familien und Freunde verlaufende Zerrissenheit betrachtet und sich dann noch erklären lassen muss, dass eine fundierte Analyse von Wirksamkeit der Maßnahmen gar nicht möglich (und auch nicht gewollt) ist, der wird sich hoffentlich fragen, ob sein Vertrauen in die deutsche Corona-Politik berechtigt war. Ein Blick in unsere europäischen Nachbarländer, wo es nicht annähernd zu gesellschaftlichen Verwerfungen wie bei uns gekommen ist, könnte sich lohnen.  Ja - auch nach Schweden!


Wie wäre es denn mit einer Initiative auf Wiederherstellung der Normalität? Auf normales Denken, normales Miteinander, auf den Umgang mit Corona wie mit anderen Infekten. Auf ein Ende der Unterscheidung der Menschen nach ihrem Impfstatus. Auf ein freies Denken, freies Handeln, und auch auf eine freie Entscheidung zum Impfen.


Für eine Initiative auf Normalität sind wir alle gefragt!




Update 05.04.2022


Als hätte man es nicht geahnt: Zu den Startschwierigkeiten der einrichtungsbezogenen Impfpflicht im Nachbar-Landkres Weilheim berichtet der MERKUR  in seiner Lokalausgabe v. 05.04.2022. Die hier geschilderte Situation dürfte stellvertretend für alle Landkreise stehen.




Update 03.03.2022 – Der Fahrplan des Herrn Holetschek


Nach einem Artikel im Ärzteblatt vom 01.03.2022 gibt es im Bayerischen Gesundheitsministerium nunmehr einen konkreten Fahrplan zur Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Dieser Fahrplan - vom zuständigen Minister Holetschek als „pragmatische Umsetzung nach Augenmaß“ bezeichnet - kann wie folgt zusammengefasst werden.


Neueinstellungen von „Ungeimpften“ sind ab dem 16.03.2022 verboten. Wer ab diesem Datum eingestellt werden soll, muss immer im Besitz eines gültigen Zertifikats über den Impf- oder Genesenenstatus sein.


Für ungeimpfte Beschäftigte, die bereits vor dem 16.03.2022 eingestellt wurden, gilt folgender Ablauf:


  • Meldung der ungeimpften Mitarbeiter(innen) durch die Einrichtungsleitung an das Gesundheitsamt ab dem 16.03.2022.


  • Das Gesundheitsamt meldet sich daraufhin bei dem/der ungeimpften AN mit dem Angebot einer Impfberatung. Es wird eine „Bedenkzeit“ eingeräumt.


  • Anschließend erfolgt – wenn der gut gemeinte Rat des Gesundheitsamts nicht fruchtet - eine förmliche Aufforderung zur Vorlage entsprechender Impfnachweise. Sollten diese nicht binnen einer bestimmten Frist vorgelegt werden können, wird ein Bußgeldverfahren eingeleitet.


  • Erst als ultima ratio (" frühestens ab dem Sommer") wird dem/der Impfverweigerer/in gegenüber ein Betretungsverbot ausgesprochen, wobei auch die Situation in der jeweiligen Einrichtung zu berücksichtigen sei.


Es dürfte klar sein, dass Herr Minister Holetschek bei seinem selbst gelobten „Augenmaß“ eher die Nöte seiner Gesundheitsämter und den drohenden Pflegenotstand im Auge hatte, als die Sorgen der betroffenen Arbeitnehmer(innen).


Worauf er die im Fahrplan erwähnte Bußgeldandrohung stützen will, die dem ungeimpften Beschäftigten ins Haus flattern soll, wenn er dem Impfangebot des Gesundheitsamts nicht nachkommt, ist vollkommen unklar.


Fazit des Autors:


Das vorprogrammierte Chaos bei der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht wird lediglich nach hinten verschoben. Insgeheim hofft das Ministerium auf ein Ende der Impfpflicht durch weitere Entspannung der Corona-Lage im Sommer, so dass die rechtlichen Unsicherheiten spätestens zu diesem Zeitpunkt galant unter den Tisch fallen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer verbleiben auch durch den neuen Fahrplan in unsicherem Fahrwasser, was den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses angeht.


Hier noch der Link zum Artikel im Ärzteblatt v. 01.03.2022



Update 19.02.2022 - Auf Biegen und Brechen…


soll jetzt gegen alle Kritik und Vernunft die einrichtungsbezogene Impfpflicht in der Praxis durchgepeitscht werden. Ob Karl Lauterbach dabei die Rechnung mit den überlasteten Gesundheitsämtern oder mit den Gerichten gemacht hat? So hat der Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, noch am 12. Februar eine Verschiebung der Impfpflicht im Gesundheits- und Pflegebereich angeregt. Deutschlands oberster Sozialrichter sprach gegenüber der „Wirtschaftswoche“ von einem „großen Wirrwarr“ und meinte, es seien viele wichtige Fragen wie Lohnfortzahlung oder Sperrzeit beim Arbeitslosengeld „noch nicht zu Ende gedacht“.


Immerhin hat das Bundesgesundheitsministerium sich mit einer 24-seititgen Handreichung zur Impfprävention in Bezug auf einrichtungsbezogene Tätigkeiten um etwas mehr Klarheit bemüht. Aus arbeitsrechtlicher Sicht kann hervorgehoben werden, dass in dem Papier des Ministeriums meine bisherigen Ausführungen zur Weiterbeschäftigungspflicht auch nach dem Stichtag 15.03.2022 (bitte runterscrollen) ausdrücklich bestätigt wurden.


So heißt es auf Seite 17 unter Punkt 22:


"Bis das Gesundheitsamt über den Fall entschieden hat und ggf. ein Betretungs- bzw. Tätigkeitsverbot ausgesprochen hat, ist eine Weiterbeschäftigung der betroffenen Person möglich. Die öffentlich-rechtliche Vorschrift des § 20a IfSG begründet kein Recht des Arbeitgebers zur Freistellung. Wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterbeschäftigt werden können, besteht auch keine Grundlage für kündigungsrechtliche Konsequenzen."


In meiner Kanzlei wurden gerade die ersten arbeitsrechtlichen Klagen gegen Einrichtungen aus dem Kranken- und Pflegebereich beim Arbeitsgericht erhoben, bei denen die Leitung vorschnell und in vorauseilendem Gehorsam eine Freistellung oder gar Kündigung ab dem 16.03.2022 ausgesprochen hatte. Es kann hier nochmals nur empfohlen werden, sich als betroffene(r) Arbeitnehmer(in) gegen derartige Maßnahmen zur Wehr zu setzen.




Update 05.02.2022 - Nichts Genaues weiß man nicht


Einzige Gewissheit ist: Mitarbeiter/innen eines Gesundheitsamtes dürften bereits heute schlecht schlafen. Wurde ihnen doch vom deutschen Bundestag mit der Einführung der „einrichtungsbezogenen Impfpflicht“ eine kaum zu bewältigende Last auferlegt.


Nach § 20 a IfSG sind die Gesundheitsämter dazu berufen, über die Zigtausenden Meldungen von Arbeitnehmer/innen ohne Impf- oder Genesenenzertifikat, die am Stichtag 15. März 2022 dort eingehen werden, ein Beschäftigungsverbot zu erlassen - oder auch nicht. Damit es den Bediensteten der Gesundheitsbehörde nicht langweilig wird, ist der Erlass eines Beschäftigungsverbots nämlich kein Automatismus, sondern eine in pflichtgemäßem Ermessen zu fällende Einzelfallentscheidung. Den damit zusammenhängenden Arbeitsaufwand und die hieraus resultierende Bearbeitungsdauer kann man sich bereits heute ausrechnen.


Bei Gesundheitsämtern und den ihnen vorgesetzten Landräten rumort es bereits. Wie soll das Amt angesichts des sich abzeichnenden Pflegenotstands entscheiden? Und wenn etwa bei einem Altenheim Ausnahmen gemacht werden, weil es sonst schließen müsste, müsste dann aus Gleichbehandlungsgründen nicht auch die Arzthelferin, ohne die die ganze Arztpraxis lahmgelegt wäre, vor einem Beschäftigungsverbot bewahrt werden?


Fakt ist: Mancherorts wird jetzt schon kapituliert – nicht nur beim Landratsamt in Bautzen, wo dies – zwar nicht unbedingt „political correct“, dafür aber ehrlich - nach außen kommuniziert wurde. Und anders als bei der Nachverfolgung von Infektionsketten können dieses Mal die von der Bundeswehr abgeordneten Kräfte nicht helfen. Da müssten schon eher Verwaltungsrichter an die Gesundheitsämter abgeordnet werden, doch diese haben bereits mit den sich abzeichnenden Einsprüchen genug zu tun.


Es bleibt also bei meinem Hinweis: Wer als Einrichtung seine Mitarbeiter/innen halten will, der sollte unbedingt zeitgleich mit der Meldung am 15. März dem Gesundheitsamt ausführlich die Gründe darlegen, warum der Betrieb bzw. die von ihm zu versorgenden Patienten, Pflegebedürftigen etc. durch die erzwungene Freistellung von Beschäftigten besonders hart getroffen würden. Falls dann doch ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen wird, ist Widerspruch einzulegen.


Und immer wieder der Hinweis – weil es gerade in kleineren Einrichtungen (z.B. Arztpraxen) noch nicht so angekommen ist: Bis das Beschäftigungsverbot erlassen wurde, bleibt alles beim Alten! Wie es sich heute abzeichnet, kann es bis zum Ausspruch eines solchen Verbots Wochen dauern.


Insgesamt scheint noch Einiges im Fluss zu sein. Hier muss bzw. darf noch mit allem gerechnet werden – bis hin zu einer generellen Verschiebung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht.





Am 10. Dezember 2021 war es soweit: Der Bundestag hat mit der sog. einrichtungsbezogenen Impfpflicht nach § 20 a IfSG den ersten Akt als Vorstufe einer kommenden allgemeinen Impfpflicht vollendet. Den nicht geimpften Angehörigen von Pflege- und medizinischen Berufen wird die Ausübung ihrer Tätigkeit damit nahezu unmöglich gemacht.


Dabei ist der Gesetzgeber auf höchst subtile Weise vorgegangen. Streng genommen wurde nämlich überhaupt keine Impfpflicht beschlossen. Kern der Regelung ist vielmehr die Statuierung eines Beschäftigungsverbots für ungeimpfte Arbeitnehmer/innen. Die Folgen eines solchen Beschäftigungsverbots werden sodann alleine auf den Betrieb und seine Beschäftigten abgewälzt. Das ist mehr als eine „Impfpflicht durch die Hintertür“ - hier nimmt die Impfpflicht den direkten Weg durch den Haupteingang!


Und so stellt sich der Gesetzgeber die Durchsetzung der „einrichtungsbezogenen Impfpflicht“ nach § 20 a IfSG vor:



  • Am 15. März muss jede in § 20 a Abs. 1 IfSG genannte Einrichtung diejenigen Arbeitnehmer an das Gesundheitsamt melden, die sich bislang einer Impfung gegen SARS-CoV-2 entzogen haben. Die Spannbreite der Einrichtungen reicht von Krankenhaus/Arztpraxen über Rettungsdienste bis hin zu ambulanten Pflegediensten. Gerade bei Grenzfällen (z.B. Hausmeisterservice für Krankenhaus) müssen am Ende vermutlich Gerichte entscheiden, wer dazugehört oder nicht.


  • Im nächsten Schritt soll das Gesundheitsamt prüfen, ob in den gemeldeten Fällen aufgrund des negativen Impfstatus des/der Arbeitnehmers/in ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen wird. Man darf gespannt sein, wie lange die Gesundheitsämter bei chronischer Überlastung durch Rückverfolgung etc. hierfür benötigen. Im Regelfall wird am Ende wohl ein Beschäftigungsverbot verfügt werden. Aber die Behörde hat auch ausdrücklich einen Ermessensspielraum. Wie dieses Ermessen auszuüben ist und unter welchen Voraussetzungen Ausnahmen zu machen sind, ist vollkommen unklar. Es ist absehbar, dass auch die Verwaltungsgerichte Einiges zu tun bekommen werden.


  • Erst wenn das Beschäftigungsverbot vom Gesundheitsamt ausgesprochen wurde, darf bzw. muss der Betrieb den ungeimpften Beschäftigten nach Hause schicken. Ab dann gilt der Grundsatz: ohne Arbeit kein Lohn. Wie der Arbeitnehmer die Zeit der unbezahlten Freistellung überbrücken soll, ist sein Problem. Eventuell ist der Gang zur Arbeitsagentur oder sogar zum Sozialamt geboten.


  • Bevor ein Beschäftigungsverbot ergangen ist, ändert sich nichts an den gegenseitigen arbeitsrechtlichen Pflichten. Ein Arzt, der seine Arzthelferin ab dem 16. März nach Hause schickt, ist weiter zur Lohnzahlung verpflichtet.


  • Umgekehrt wird übrigens auch ein ungeimpfter Arzt als Arbeitgeber mit einem Beschäftigungsverbot rechnen müssen. Seine Praxismitarbeiter haben weiterhin vollen Lohnanspruch.


  • Das neue Gesetz gilt bis zum Ende 2022.



Handlungsempfehlungen vom Arbeitsrechtler


Die Umsetzung des neuen § 20 a IfSG birgt juristischen Zündstoff in sich. Dabei reichen die Problemfelder von rein praktischen Dingen (z.B. fällt mein Betrieb unter den Katalog der in § 20 a Abs. 1 IfSG genannten Einrichtungen?) bis hin zu grundsätzlichen Rechtsfragen, etwa die Vereinbarkeit mit Grundrechten.


Trotz dieser Ungewissheit wird man gut tun, sich an folgenden Punkten zu orientieren:



  • Wenn aus ärztlicher Sicht eine Kontraindikation gegen die Impfung vorliegt (und nur dann!), lassen Sie sich dies bitte von Ihrem Hausarzt attestieren. Mit einem rechtmäßig und glaubwürdig ausgestellten Attest entgehen Sie dem Beschäftigungsverbot.


  • Der Impfstatus ist weiterhin Privatsache. Auf die derzeit laufenden "Umfragen" der Arbeitgeber, ob Sie geimpft oder genesen sind, müssen Sie nicht antworten, wenn Sie dies nicht möchten. Einzig die Tatsache, ob Sie bis zum 15. März 2022 einen Impf- oder Genesenennachweis beim Arbeitgeber vorlegen, entscheidet darüber, ob der Arbeitgeber Sie beim Gesundheitsamt melden muss oder nicht. Die Verpflichtung zur täglichen Testung von nicht geimpften Arbeitnehmer(inne)n gilt unabhängig davon.


  • Kämpfen lohnt sich: Wer eine Kündigung vom Arbeitgeber erhält, muss sich innerhalb von drei Wochen beim Arbeitsgericht zur Wehr setzen. Eine Kündigung durch den Arbeitgeber ist dabei immer ultima ratio. Ob die Kündigung dann durch das Verhalten des impfunwilligen Arbeitnehmers veranlasst ist oder ob nicht von einem personenbedingten Grund auszugehen ist, dürfte am Ende beim Bundesarbeitsgericht entschieden werden.


  • Auch wenn Sie als Arbeitnehmer/in am Verzweifeln sind: Kündigen Sie niemals selbst und unterschreiben auch keinerlei Aufhebungsvereinbarung oder sonst irgendein vom Arbeitgeber vorgelegtes Schriftstück. Lassen Sie sich in jedem Falle vorher anwaltlich beraten.


  • Sollte der Arbeitgeber Sie nach Hause schicken, noch bevor das Gesundheitsamt überhaupt ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen hat, verstößt der Arbeitgeber gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten. Er bleibt dann zur vollen Lohnzahlung verpflichtet.


  • Arbeitgeber im Krankenhaus- und Pflegebereich haben grundsätzlich kein Interesse, ihr Personal zu verlieren. Möglicherweise drohen sogar Engpässe und Teilschließungen, wenn die vorgegebenen Pflegeschlüssel nicht eingehalten werden können. Die Wichtigkeit der Fortbeschäftigung und die drohende Notlage bei Freistellung des Mitarbeiters sollten daher im selben Zuge wie die Meldung der nicht geimpften Mitarbeiter an das Gesundheitsamt dargelegt werden. Genau solche Gesichtspunkte hat nämlich das Gesundheitsamt im Rahmens seines pflichtgemäßen Ermessens  zu berücksichtigen. Gegen ein Beschäftigungsverbot kann auch vor dem Verwaltungsgericht geklagt werden, wobei das Gesetz in diesem Falle allerdings keine aufschiebende Wirkung vorsieht.


  • Arbeitgeber und Arbeitnehmer/innen sind gut beraten, wenn sie sich gemeinsam über die bevorstehende Durststrecke hinüberretten. Es soll ja durchaus Arbeitgeber geben, die für das Abwarten mit der Impfung Verständnis aufbringen. Vor allem dann, wenn die Freistellungsphase überschaubar lang ist (z.B. der Arbeitnehmer wartet noch auf einen Totimpfstoff), wäre dies wohl die erste Wahl. In Frage käme etwa eine Vereinbarung, wonach der Arbeitnehmer gegen ein herabgesetztes Entgelt freigestellt wird. In der Zeit der befristeten Freistellung könnten zur Abmilderung Urlaub und Überstunden eingebracht und damit abgegolten werden. Das in der Freistellungsphase gezahlte Basis-Entgelt könnte dann mit späteren Lohnzahlungen nach Ende des Beschäftigungsverbots ganz oder teilweise verrechnet werden. Auch an die Umsetzung ins Homeoffice oder in einen anderen Betriebsteil ohne Patientenkontakt wäre zu denken. Zwar gilt § 20 a IfSG grundsätzlich einrichtungsbezogen und somit für alle Betriebsteile. Genau in einem solchen Fall muss man jedoch mit der Gewährung von Ausnahmen beim Beschäftigungsverbot rechnen dürfen.


  • Arbeitsrechtliche Streitigkeiten sind nicht ganz billig. Gut, wenn Sie über einen ausreichenden Rechtsschutz verfügen.


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